Meine zweite Welt
  Die Augen meines Bruders
 

Die Augen meines Bruders

 

 ~* Ich blicke tief in deine Augen,

merke, wie du dich windest und ausweichen willst, denn es schmerzt dich.

Doch du kannst es nicht. Du kannst meinen Blick nicht loslassen,

kannst nicht wegsehen, bist gefangen. Zu stark ist die Kraft

die von mir ausgeht. Die Kraft, die meine leuchtenden Augen ausstrahlen.

Als ich merke, was ich dir antue, senke ich den Blick.

wie konnte ich so etwas nur tun? *~

 

 

 

 

Ich laufe die Allee entlang. Mein Rucksack liegt so schwer auf meinen Schultern wie meine Gedanken erdrückend wirken. Langsam gehe ich die wenigen Treppenstufen zu unserem Haus hinauf, öffne die klemmende Türe und werfe meine Tasche auf den Boden. Gordon begrüßt mich. Der junge Gepard stellt sich auf die Hinterbeine, stürzt sich mit seinen Pfoten an meinem Körper ab und schleckt mir behutsam über das Gesicht. Ich umarme ihn, drücke mein Gesicht in sein weiches Fell. Langsam sinke ich – ihn fest umklammert – zu Boden. Er jault leise, stupst mir vorsichtig mit der Schnauze in den Nacken und schmiegt sich an mich.

Seit ich denken kann sind er und zuvor schon Kimberley immer für mich da gewesen. Sie spürten wie es mir ging und wussten, wie sie sich zu verhalten hatten.

Jetzt, wo Paps nicht da war gaben sie mir die Kraft, die ich sonst von ihm bekam, wenn er dasaß und mit mir redete. So zornig er werden konnte, so verschlossen und gefühllos er manchmal wirkte, er besaß eine Gabe, die all das in den Schatten stellte. Er spürte so viel, er nahm so viel war. Er sah so viel!

Doch schon lange war er nicht mehr nachhause gekommen. Ich war es gewohnt, dass er mich viel allein lies, schließlich war er selbst noch nicht wirklich erwachsen gewesen, als ich zur Welt kam und er die Verantwortung für mich übernahm. Auch wenn er sich selbst so entschieden hatte, er hatte den kleinen Winzling oft an andere abgedrückt um seine Feizeit zu genießen, um sein leben auszukosten. Doch schon als Kind hatte ich gemerkt, dass uns etwas verbindet und ich wusste, er liebte mich. Auch wenn er nicht der liebevolle Vater war, wie man ihn sich einen Vater vorstellte, der seine Kinder liebt. Er hatte mir mehr beigebracht als sonst irgendjemand. Er hatte mich gelernt, was es hieß zu leben und sein Leben zu verteidigen. Schließlich wusste er besser als irgendjemand sonst wie man sich verteidigen. Wie man durchs Leben kommt ohne erwischt oder rausgeschmissen zu werden.

Doch die Angst saß mir immer im Nacken, wenn ich ihn lange nicht sah. So auch jetzt, wo ich mit Go auf dem Boden saß. Aber ich verwarf den Gedanken. Kim würde merken, wenn etwas passiert war!

 

Während ich mir essen machte dachte ich über den Neuen nach, der vor kurzem in unsere Klasse gekommen war. Es war selten, dass jemand hierher zog. Er war eigenartig, hatte die Art eines Einzelgängers, der gewollt die anderen von sich fern hielt. Jedenfalls war er keiner der Typen, die alles taten um dazuzugehören, jedoch immer wieder an den Rand der Gruppe gescheucht wurden. Und er gehörte eindeutig auch nicht zu den Herdenmenschen, die wie so viele hier, einem Anführer nacheiferten. Irgendwie schien er nicht hierher zu passen, auch wenn dies schwer war, schließlich gab es hier die verschiedensten Arten von Menschen. Ihn jedoch schien es nur einmal zu geben – was jedoch auch an seinem Namen liegen könnte, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte: Arved

 

An seinem dritten Tag heute hatte er sich schon den Oberboss der Schule vom Hals geschafft, welcher es für seine Aufgabe hielt, Neuzugänge zu prüfen. zumindest würde es so genannt, glich jedoch eher einer Folter. Es hätte ihm auch keiner geholfen. Nie wurde den Neuen geholfen. Jeder ging ihnen aus dem Weg bis klar war, zu wem sie gehörten.

Die Schwächeren hielten sich sowieso immer raus, versteckten sich lieber und waren froh, wenn es nicht sie traf. Und die meisten Anderen gehörten – zu ihrem ganzen Stolz – zur Gruppe der Schulwächter, wie sie sich selbst nannten.

Es war mir nie wichtig gewesen, was geschah. Gruppen und Gangs, mit denen ich nichts zu tun haben wollte und die mich in Ruhe ließen. Und wenn ich dann doch einmal einschritt, weil ihre Opfer keine Chance mehr hatten, ließen sie mich gewähren.

Hier gab es Schüler, denen sie ihren Frieden ließen, weil deren Eltern einflussreiche Ämter hatten. Arne zum Beispiel. Er war der Sohn des Rektors. Obwohl er Rothaarig blass und sehr schüchtern war, hatte ich noch nie gesehen, dass er Schwierigkeiten auf dem Schulhof hatte.

Er hatte einfach gemerkt, dass, wenn er immer den Mund hielt, niemand von ihm gestört wurde. Andere waren zu stark und konnten sich. oder wie die Zwillinge Bacco und Sören, die sich nicht nur zu verteidigen wussten, sondern die so gut boxen konnten, das schon gar niemand herausfinden wollte, wie gut sie wirklich sind. Ihre Körper waren durch und durch trainiert – und die hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Nicht einmal die Gruppe der stärksten Wächter traute sich an die beiden heran.

 

Doch mein Vater war nicht bekannt, er war Nichts Besonderes von Beruf. Eher jemand über den gemunkelt wurde. Er hatte ein 17-jähriges Kind und war mehr unterwegs als zu Hause. Er hatte zwei Geparden für sein Mädchen, die vielleicht ein wenig die Familie ersetzten.

Und seine schlanke Gestalt, die er weitervererbt hatte, war alles andere als Furcht einflössend.

Dennoch schien es, als wäre ihnen, den Herren der Schule, klar, dass es keinen Sinn hätte, mir zu drohen oder auf andere Art und weiße anzugreifen.

Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht. Wieso auch. Es hatte nur vorteile für mich.

 

Doch was mich wirklich verwunderte war, dass schon nach so kurzer Zeit die Runde machte, dass der Leader der Wächter den Neuen nicht nur in Ruhe lies oder ihn akzeptierte. Nein, er ging ihm aus dem Weg!

Soweit ich wusste kam der Blondschopf aus einer armen Familie, war aber im Waisenhaus aufgewachsen.

Auf irgendeine Art und Weise weckte dies nun mein Interesse. Und ich schaute ihn mir genauer an: Sein braunblondes strähniges Haar trug er in einer Art Löwenmähne. Verwuschelt und doch eine gepflegte und gestylte Frisur. Sein Operkörper war Männlich und breit, doch er war sonst sehr schlank. Jedoch nicht übermäßig muskulös und kräftig.

Dafür schien er liebend gern Skateboard zu wahren. Er hatte es immer bei sich, kurvte in den Pausen umher und übte Tricks.

Er war erstaunlich gut und es machte wirklich Spaß, wenn man ihm zusah. Es war nicht wie bei so vielen anderen: er konnte es wirklich, er gab nicht nur einfach damit an.

So saß ich oft auf der Bank und schaute zu, wie er über das Geländer an den Treppen rutschte oder sprang.

 

Doch wie das so oft ist, wenn jemand Neues auftauchte fühlte sich irgendjemand belästigt, gestört oder aus dem Mittelpunkt gestoßen. Und aus genau diesem Grund gab es auch eines Tagen, keine Woche nachdem Arved an die Schule gekommen war, kam es zu einem Heftigen Streit. Desh, der bisherige Skater-King, fühlte sich in seiner Anerkennung durch den Neuen untergraben. In einer kleinen Pause griff er ihn an, schupste ihn und hetzte die anderen gegen ihn auf. Sie zogen ihn mit seiner Waisenherkunft auf.

So viel ich mir auch anhörte, ohne dass ich das Gefühl hatte, dass es mich etwas anging. Doch wenn jemand fertig gemacht wurde, wegen seiner Herkunft oder sonst etwas, wofür er nichts konnte, sah ich rot. Sobald ich das erste Wort in dieser Richtung hörte war ich hell wach, sprang auf und packte den überraschten Desh hart an der Schulter. „Es reicht!“ er wollte sich wegdrehen. „Was genau kann er den dafür, dass er keine Eltern hat? Außerdem ist es reichlich schwach von dir, ihn auf dieser Art mit jede Menge Leute als Unterstützung, anzugreifen, obwohl es um etwas komplett anderes geh.“ Ein paar fingen an zu lasen, manche schlichen sich verstohlen aus dem Kreis. Desh schaute mich wütend an, stieß mir mit aller kraft gegen die Schulter als er an mir vorbei lief und setzte sich auf seinen Platz im hinteren Eck des Zimmers. Ich blickte auf und traf auf den Blick, Tief blickte ich in seine grünen Augen, merkte, wie er den Blick erwiderte und spürte die Kraft, die von ihm ausging. Automatisch verringerte ich mein Sichtfeld, zog die Augen zusammen und konzentrierte mich auf meine Pupillen. Erst als ich merkte, wie meine Augen sich veränderten, wie meine Pupillen schmaler und das Leuchten meiner Augen Farbe stärker wurde, wurde mir bewusst, was ich ohne nachzudenken getan hätte. Ich hatte den Machtkampf angenommen. Doch woher kam es, dass er seine solche Intensität in seinen Blick legen konnte?

Ich erinnerte mich, wie ich als Kind über musste – Tag für Tag – und mit unendlich viel Energie, unter großem Kraftverlust meine Gabe zu steuern.

Ich nahm wieder etwas Konzentration von seinen Augen, schaute ihn auf normale Sichtweise an – und erschrak. Seine Pupillen waren schmal, wie die Augen einer Katze…Mit aller Energie die ich aufbringen konnte stach ich ihm ins Auge. Ich blickte ihm tief in seine Augen. Merkte, wie er sich wand und ausweichen wollte, denn es schmerzte ihn. Doch er wusste er konnte es nicht. Er konnte meinen Blick nicht loslassen, konnte nicht wegsehen, war gefangen. Zu Stark war die Kraft, die von meinen Augen aus ging. Die Kraft, die meine Leuchtenden Augen ausstrahlten. Als ich merkte, was ich ihm antat senkte ich den Blick.

Wie konnte ich so etwas nur tun?

Ich sah noch, wie er sich an der Wand abstützte und zitterte, als ich aus dem Zimmer rannte.

Zügig verließ ich das Schulgebäude und lief die Straße hinunter. Vor meinen Augen sah ich die letzten Sekunden im Klassenzimmer. Was hatte ich getan?

Mit dem Gefühl noch schwerfälliger und müder zu sein als sonst ging ich die Allee entlang. Jeder schritt viel mir schwer…mein Puls pochte in den Schläfen und ein brutales Stechen ging mir immer wieder erneut durch den Kopf.

Ohne meine Umgebung wahrzunehmen fand ich den  Weg nach Hause. Ich  hatte das Gefühl für die Zeit verloren und hatte keine Kontrolle mehr über meine Gedanken.

Wie ich durch die Türe gekommen war wusste ich nicht mehr.

Als ich wieder zu mir kam lag ich neben Liridon, dem Geparden. Mein Vater saß neben mir und hielt meinen Kopf fest. Ich merkte, dass ich wieder mehr Kraft hatte, doch an seinem mit Kraft erwiderten Blick merkte ich, dass meine Augen noch schmal waren und leuchten. „Was war los? Wieso hattest du dich nicht unter Kontrolle?“, wollte er wissen. und ich wusste, dass ich ihm die Wahrheit sagen musste. Er wurde es sowieso herausbekommen. So erzählte ich ihm in wenigen Worten, dass ich erst bemerkt hatte, was los war, als unsere Blicke schon so  ineinander  verkeilt waren, dass keiner loslassen konnte.

Die Bilder kamen wieder in mir hoch: Die schmalen schwarzen Pupillen, das faszinierende Gemisch aus den unglaublichsten Grüntönen, die von geheimnisvoll dunkel über verträumtes grünblau bis hin zu lächelndem, anziehendem hellgrün ging.

Ich spürte wieder den Schmerz seines immer schärfer werdenden Blickes.

Um meinem Vater nicht zu zeigen, dass ich mich ablenken, sogar fesseln hatte lassen und wie lange ich gebraucht hatte um loszulassen, drehte ich mich  weg. Es war schon genug, dass ich mich nicht unter Kontrolle gehabt hatte und meine Energie ausgespielt hatte. Und mir war klar, er würde mir ansehen, was wirklich Sache war.

 

„Ich gehe meine Schulsachen holen!“ murmelte ich, während ich eine Leine suchte. Er nickte, doch ich wusste seinen warnenden Blick zu deuten – pass auf, was du tust!

Um einen Schatten über meine Augen zu legen zog ich die Kapuze meines Pullis über und pfiff nach Liridon.

An der Tür drehte ich mich noch einmal um: „Ich hab dich vermist, Paps!“, ließ ich ihn wissen. Schließlich hätte ich mich unter anderen Umständen über sein Wiederkommen sehr gefreut.

Ich nahm den Bus zurück zur Schule, auch wenn ich das sonst nicht tat. Liridon hatte ich an der Leine, doch die meisten Leute schienen trotzdem unsicher zu sein.

Doch mich störte das nicht weiter. Mit gesenktem Kopf schaute ich aus dem Fenster und beobachtete die Straße, die vorbei zu gleiten schien.

Paps war zurück. Er hatte mir wirklich mehr gefehlt, als ich gedacht hatte. Wo er wohl so lange gewesen war? Er redete nie über sich und fragen würde ich ihn auch nicht, soviel stand fest. Ich liebte ihn von klein auf. Wir vertrauten einander, doch hieß das nicht, dass wir über alles redeten. Zwar führten wir Diskussionen oder er erzählte mir vom Leben, aber nie so, dass klar war, dass er von sich redete. Würde jedoch was passieren – im Ernstfall – wir würden uns blind auf den anderen verlassen. Und wann immer ich – wenn ich alleine war – nicht weiter wusste, dachte ich an ihn, wie er mich als Kind getröstet und mir Kraft gegeben hatte. Zwar auf seine ganz eigene Art, aber er hatte immer nach mir geschaut, hatte mich nie im Stich gelassen. Sein schwarzes Haar, das er schon lang in die Stirn hängend gehabt oder kurz und als Igelfrisur getragen hatte und seine grünblauen Augen waren ein so Beruhigendes Bild für mich. Seine Augen würden immer blauer, umso mehr Kraft darin steckte und strahlten sowohl Selbstsicherheit und  totale Ruhe aus, wie sie so fremd erscheinen konnten.

 

Fast hätte ich verpasst auszusteigen, wenn nicht Liridon zufällig an der Leine gezogen hätte. Nun stand ich vor der Schule und war zu, ersten Mal unsicher, weil ich alleine war.

langsam lief ich in das Gebäude. Den Geparden dicht an meinem Bein, sodass ich ihn spüren konnte.

Ich kam rechzeitig zum Nachmittagsunterricht. Gleichzeitig mit dem Lehrer betrat ich das Klassenzimmer. Keiner sagte etwas. Alle starrten sie auf Liridon. Es war nicht durchdacht gewesen, ihn mitzunehmen, doch ich merkte nun, dass ich ihn brauchte. Während alle in meine Richtung schauten lies ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Wo war der junge? wo war Arved?

Entschlossen nicht langer zu bleiben, ging ich zu meinem Platz, packte meine Sachen zusammen und verließ das Zimmer. Niemand hielt mich zurück. Die Unsicherheit und Angst die in der Luft lag spürte ich.

 

Ich hing langsam nach Hause. Um meinem Vater aus dem Weg zu gehen schlich ich an der Küche vorbei, wo er sich gerade Nudeln kochte. Seine Musik, die kurz darauf durch das ganze Haus dröhnte, verdrängte meine Gedanken und durch de Bass der die Wände beben ließ flammte meine Aggression auf.

Liridon, der bis jetzt neben mir gelegen hatte knurrte und verließ das Zimmer. Er spürte meine Stimmung. Während die Wut über mich selbst und der Hass auf meine Gabe wie ein Feuer, wie eine riesige Welle, meinen Körper ergriffen, spürte ich die in mir entstehende Kraft. Meine Fäuste verkrampften sich und ich spürte, wie meine Augen sich verengten. Ich sah in den Spiegel, beobachtete, wie meine Pupillen schmal wie die einer Katze wurden, und meine Augenfarbe in Goldgelb überging. Mein Spiegelbild zersplitterte, der Spiegel zersprang in mehrere Stücke. Mein Blick schweifte über die Bettdecke, welche sich wellte, wie ein Meer unter einer sanften Briese. Der Buchstapel neben meinem Bett verlor sein Gleichgewicht, als ich den Titel des untersten Buches las. Mit einem Schlag fielen die Bücher des hohen Turmes zu Boden. Und der gelesene Titel brannte sich in mein Hirn ein: „Machtlos“. Genau so mussten die anderen sich unter mir fühlen. Wieso ich? Wieso? Wie konnte mein Vater dies aushalten, wie konnte er mit einer solchen Last ein Leben führen? Ich starrte an die Decke, die Gedanken bei meinem Vater, der wohl auf dem Boden im Wohnzimmer Kraftübungen machte. Was er wohl dachte? Was er nun über mich dachte, nachdem er wusste, wie schwach ich gewesen war?

Die Türe wurde aufgerissen und mein Vater stand vor mir. Er packte mich an der Schulter und schüttelte meinen verkrampften zitterten Körper. Seine Augen wurden immer bläulicher. Wie ich diese Farbe liebte, doch ich hatte nicht die Kraft, lange genug seinem Blick stand zu halten. Gedanken und Bilderfolgen vermischten sich, jagten durch das Zimmer und wurden zu einem großen Gemisch. Welche waren die Meinen? Ich wusste es nicht mehr.

Mein Körper verlor den Halt, hatte keine Kraft mehr übrig und ich sank in die Arme meines Vaters, gebettet in einen blaugrünen Dunst der Bewusstlosigkeit.

 

Am nächsten Morgen erwachte ich, weil Liridon mir über das Gesicht leckte. Paps stand in der Türe, meine Tasche in der Hand. „Zieh dich an! Ich bring dich zur Schule!“ Er sprach nie von verschlafen, weil es für ihn ein Zeichen davon war, dass man an die Zeit gebunden war. Doch ich wusste ich musste mich beeilen um es noch rechzeitig zu schaffen.

Eilig warf ich die Bettdecke zurück, stand auf – und erwischte gerade noch den Schreibtisch, als meine Beine unter mir nachgaben. „Spar deine Energie, du bist noch nicht wieder fit!“

Mit so wenig Bewegung wie möglich zog ich mich an. Paps fuhr mich zur Schule, sodass ich gerade rechzeitig dort ankam. Ich schnappte meine Tasche und steig aus. „Du bist enttäuscht, nicht wahr? Ich pass heut auf!“ sagte ich, bevor ich die Türe des verrosteten Wagens zufallen ließ.

 

Ich zog meine Kapuze über. Dieses mal nicht um meine im Moment normalen Augen zu verbergen. Eher um mein bleiches Gesicht das nach Ruhe verlangte, zu verbergen.

Als ich das Klassenzimmer betrat überfolg ich die Reihen Wo war er? Wo war mein Bruder?

Erschrocken über meine Gedanken hielt ich inne. Bezeichnete ich ihn nun schon als meinen Bruder, nur weil er dieselbe Fähigkeit hatte? Man verbrüderte sich wenn man Feinde gemeinsam besiegen wollte, doch ich hatte weder Feinde noch wollte ich jemand besiegen oder angreifen. Ich hatte schon genug angerichtet. Also genug der Verbrüderung.

Der Tag verging langsam. Vom Unterricht bekam ich kaum etwas mit. Es schien, als war ich in einem abgekapselten Wachzustand, der keine Teilnahme an der Wirklichkeit hatte. Nicht einmal das Verhalten der Anderen mir gegenüber bekam ich mit.

Auf dem Heimweg verlief ich mich fast. Ich schlief beinahe im laufen ein und es viel mir sehr schwer einen schritt vor den anderen zu setzen.

Endlich zuhause angekommen, bekam ich die Türe kaum auf.

Ich brauchte das Gewicht meines gesamten Körpers. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wieso mein Vater immer gewollt hatte, dass ich mich selbst kontrollieren konnte. Andernfalls hätte dies – vor allem als Kind – mein Todesurteil sein können.

 

Liridon sprang an mir hoch und ich viel Rückwärts mit dem Rücken gegen die Wand. „Lir!“, ermahnte ich ihn und sofort ließ er von mir ab.
“Amber? Du bist schon zurück?“, rief mein Vater, „Ich hatte dich erst später erwartet.“ Soll ich wieder gehen?!“, war meine Antwort. „Nein“ er stand plötzlich im Türrahmen und lächelte. „Wir haben besuch.“ Ich schaute verdutzt. „Besuch?“ Ich spürte, dass er sich freute, dass er glücklich war und doch schien er etwas durcheinander, weil die Situation anders war, als er es sich vorgestellt hatte. „Amber, ich muss dir jemand vorstellen!“ Überrascht und irgendwie auch mit einer ablehnenden Haltung lief ich ihm hinterher. Er schaute mich an, seine Augen blickten tief in meine. Prüfte er  mich, ob ich seinen Besuch gefährden konnte? ob ich bereit war? Langsam öffnete er die Türe und mein Blick viel auf den Sofa gegenüber der Türe. Ich traute meinen Augen nicht. „Was…?“ Paps packte mich an der Schulter „Nicht! Lass es mich erklären, Amber!“ Er schob mich ins Zimmer und ich setzte mich auf den Sessel, ohne den unerwarteten Besucher aus den Augen zu lassen. Was suchte der Junge hier?

„Hey.“, sagte er leise. Auch er schien sich nicht ganz wohl zu fühlen. „Tut mir leid wegen gestern, ich wollte dir nichts tun!“ entschuldigte ich mich. „Schon okay.“ meine er.

„Wollt ihr etwas trinken?“, fragte Paps und ging in die Küche um etwas zu holen. es wurde Still. Eine Spannung lag in der Luft. „Das schlimme war nicht, verletzt zu werden, sondern der Schock angegriffen zu werden, weil ich nicht gewusst hatte, dass es noch andere gibt!“

Paps kam Mit Kaffe und Chipstüten wieder. Doch ich hatte keinen Hunger. Wenigstens war jedoch meine schwere Müdigkeit verschwunden.

Kurze Zeit hörte ich auf das Knistern und Rascheln der dünnen Tüten. „Woher kennt ihr euch? Wie kommst du hier her?“ stelle ich die Fragen die mir durch den Kopf gingen in den Raum.

Arved zückte nur die Schultern und vermiet es, mich anzusehen.

„Amber, ich hab ihn vor der Schule abgefangen, als ich dich hingebracht habe. Er war noch zu schwach um sich zu wehren, hatte also keine Wahl und es waren deine Gedanken, die Bilder in deinem Kopf, die mich auf ihn gebracht haben.“

Nun griff auch ich zu den Chips. Also hatte auch er an diesem Tag in meinem Zimmer Gedanken aufgenommen, die nicht seine waren.

„Wie viele solche Leute wie uns gibt es? Und wie erkennt man sie, River?“ wollte nun Arved wissen. Seit langem hörte ich mal wieder, wie jemand den Name meines Vaters aussprach. Wie einfallslos er doch war.

Arveds frage war nicht uninteressant. Ich war damit aufgewachsen und hatte mir deswegen nie Gedanken dazu gemacht, doch nun stellte ich fest, dass ich dies auch nicht wusste.

Paps blickte uns beide abwechselnd an. „Nicht sehr viele. Man erkennt sie normal gar nicht, schließlich versucht jeder es geheim zu halten. Allerdings bekommt einen zu seiner Energiefarbe passenden Name.“ Name? Wieso war ich nie darauf gekommen? Amber wie Bernstein, River, der Fluss welcher für blau stand und Arved. Arved war eine Mischung aus Ari dem Adler und Ved für Wald. Grün also.

„Und wie bekommt man so etwas?“, fragte de Junge weiter. „Es wird vererbt. Normal an einen der nächsten Generation.“ Der Fragenstellende überlegte kurz. „Das heißt, meine Eltern waren wie du?“ Paps schluckte. „Nein!“ verwundert schauten wir beide ihn an. Er widersprach sich! „Deine Eltern waren nicht wie ich. Ich bin dein Vater.“

Mein Atem stoppte. Was??? Arved schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein!“, meinte er schwach. „Du sagtest an einen der nächsten Generation! Wie bitte schon erklärst du dir dann das? Paps!“ ich war außer mir.

„Amber, beruhig dich!“ „Ich versteh das nicht….“ murmelte Arved. Ich beachtete ihn überhaupt nicht und behielt weiter meinen Vater, ich verbessere mich, unseren Vater, im Visier. „Du kennst ihn also? Und sagst es mir nicht?!“ Mein Atem ging schneller, mein Herz raste. Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Ununterbrocken starrte ich River an. Noch nie war ich so wütend so außer mir, so verunsichert gewesen. Er hatte mich noch nie belogen!

Doch er schien sehr ruhig. Wie er es immer war. Während mein neuer Bruder nur sprachlos den kopfschüttelte und vor sich hinstarrte und ich tobte, sagte er einfach nichts.

Als Liridon zu mir kam und sich neben mir auf den Boden legte, wurde ich ruhiger. Meine hand kraulte den Nacken des Tieres und ich spürte die Wärme und Ruhe, die er ausstrahlte. Eine weile war es ganz Still. Interessant wäre nun sicher, welche Gedanken durch die Köpfe der anderen schwirren. Doch jeder war mit seinen eigenen Überlegungen beschäftigt und es war auch gegen die Regeln, grundlos in den Köpfen anderer herum zu wühlen.

„ Also gut.“, setzte River an, „Ich erkläre es euch.“ Er trank auf einen Zug seine Tasse Kaffe leer und fing dann an. „Euere Mutter wusste nicht wer ich war. Wir kannten uns zwar schon einige Zeit, als sie schwanger wurde, doch wir wussten nicht viel übereinander. Sie freute sich unheimlich, auch wenn wir noch sehr jung waren, und wollte das Kind unbedingt behalten. Sie war einige Jahre älter als ich, doch ich war noch nicht einmal volljährig.

Umso dicker ihr Bauch wurde, umso schwächer wurde sie. Es raubte ihr unheimlich viel Kraft und obwohl ich ahnte an was dies lag, schwieg ich weiterhin über das Geheimnis. Als es so weit war brachte sie Zwillinge zur Welt – ein Junge und ein Mädchen. Doch sowohl sie wie auch der kleine Junge waren viel zu schwach um das Krankenhaus zu verlassen. Nur das Mädchen war gesund. Sie war zwar klein, aber sehr kräftig – und sie hatte gelbe Augen. Ich wusste, dass  sie die gleiche Fähigkeit hatte, doch bei dem kleinen Winzling war ich mir nicht so sicher. Als eure Mutter eines Mittags schlief, nahm ich ihn auf den Arm und griff ihn vorsichtig an. Seine Augen flimmerten grün, doch für eine Gegenreaktion war er zu schwach. jedoch wusste ich nun, dass beide meiner Kinder einen Namen nach ihrer Energiefarbe bekommen mussten und mir war bewusst, dass ich beiden lehren musste, damit umzugehen.

Aus Verzweiflung packte ich das Mädchen und nahm sie mit nach Hause. Ohne mit eurer Mutter zu reden gab ich euch Namen und lies diese eintragen. Und ich hatte vor, sobald es auch dem Jungen besser ging, ihn zu holen. Ich war 17, hatte eigentlich keine Lust, Kinder groß zu ziehen sondern wollte mein Leben genießen. Partys feiern und frei sein. Doch nun war es anders gekommen. Ich kannte meine Pflicht und ich nahm diese sehr ernst. Als ich jedoch eine Woche später ins Krankenhaus kam wahren die beiden Weg. Ich suchte, gab nicht auf. Doch erst ein halbes Jahr später erfuhr ich vom Tod euerer Mutter. Sie hatte ohne genug Kraft zu haben, versucht, ihren Sohn vor mir fern zu halten. Sie hatte gesehen, was ich getan hatte, als ich der Meinung war, sie würde schlafen, doch sie wusste nicht was dies bedeuten sollte. Verstanden hatte sie nichts davon, doch es hatte ihr Angst gemacht.  Um ihn zu retten brachte sie ihn in ein Heim und da ich nicht beweisen konnte, dass er mein Sohn war und ich noch nicht volljährig war, durfte ich ihn nicht mitnehmen.

Als ich dann endlich 18 war ging ich zurück in das Heim, doch inzwischen war der junge an eine Familie abgegeben worden. Von da an hatte ich ihn aus den Augen verloren. Meine einzige Hoffnung war, dass er zu schwach blieb um seine Fähigkeit zu nutzen.

Und das ist die ganze Geschichte euerer eueres ersten Lebensjahres.“

Keiner von uns beiden sagte etwas darauf. River wand sich mir zu:  „Ich lieb dich, Amber, du bist meine Tochter, auch wenn es nicht immer einfach war. Ich bin sehr stolz auf dich. du musst mir nicht verzeihen, aber ich hoff, eines Tages verstehst du mich.“

Dann blickte er zu Arved. Doch dieser war schneller und meinte: „Bevor du etwas sagst. Ich bin sehr vor den Kopf gestoßen, doch ich bin auch sehr froh, dies nun alles zu wissen. Und zum ersten Mal in meinem leben habe ich wirklich eine Familie. Wie es weitergeht weiß ich nicht, aber trotzdem bin ich unheimlich froh.“ Er stand auf, kam auf mich zu und gab mir die hand. Zögern blickte ich ihn an. Er war also mein Bruder…

River stand auf. „ Ich mach jetzt was zu essen. Willst du bleiben Arved?“ Dieser schaute mich fragend an. Ich schaute zurück. „Danke“ sagte er „Gerne“

Ich nahm die Leine und ging mit Liridon zur Türe. „Bis nachher!“ verabschiedete ich mich.

Es zwar zu viel, das Haus zu klein, mein Kopf zu voll. Ich brauchte frische Luft, brauchte Platz, brauchte Ablenkung und etwas, das mir vertraut war. Ich rannte mit Liridon die Straße hinunter. Als es anfing zu regnen, stellte ich mich unter einen großen Baum. Ich lehnte mich an den Stamm, ging in die Hocke und streichelte der neben mir sitzenden Katze über den Rücken. Langsam wurde mein Kopf frei. Ich spürte, wie meine Gedanken sich ordneten. Und ich fühlte mich auf einmal frei. Mit Liridon, dem besten Freund, den man haben konnte, neben mir. Sein Fell war nass, als ich mein Gesicht an das seine legte. Mehrmals atmete ich tief durch, dann stand ich auf. „komm, Lir, wir gehen nachhause!“ sagte ich und lief mit ihm durch den Regen zurück.

Der Gedanke daran, gleich an einen Tisch zu sitzen, etwas Gutes zu essen und endlich meinen hungrigen Magen zu füllen gefiel mir. Und dass ab nun noch jemand zu unserer Runde zählte, daran würde ich mich auch gewöhnen können. Schließlich hatte es auch vorteile, nicht alleine zu sein, wenn Paps weg war. Und die zeit die er jetzt da, das nahm ich mir fest vor, würde ich genießen.

 

Als ich nach Hause kam, duftete es gut. Ich ging in die Küche, umarmte Paps und lachte ihn an. Dann setzten wir uns zum essen.

Es schmeckte richtig gut und ich fragte mich gerade, seit wann mein Vater so gut kochen konnte, als er meinte: „Arved hat gekocht, also wundere dich nicht.“ Ich lachte. „WoW, ich hab also einen Bruder der kochen kann! Ich weiß schon, wer ab nun den Job hat, hier das essen zu machen.“

 

Zwei Tage später zog Arved zu uns. Paps hatte beschlossen ihn als Pflegekind zu nehmen, bis geklärt war, dass es wirklich sein Sohn war.

Und in der Schule änderte sich nicht viel. Nur dass Arved und ich nun beide keine Einzelgänger mehr waren und unsere Kämpfereien immer mehr Leute anlockten.

Vielleicht würde Arveds Wunsch sogar in Erfüllung gehen und die Wächter würden eines Tages durch uns ihre Macht verlieren…


(c) by Anouk

 
 
   
 
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